Einsatzmeldung „Kuh in Güllegrube“ – Ötisheimer Wehr bilden sich zum technische Großtierretter aus
Rettungskräfte der Feuerwehr Ötisheim trainieren die sichere und tierschonende Rettung von Pferden, Rindern, Eseln und anderen großen Tieren.
Nicht nur wir Menschen geraten in Situationen, in denen wir Hilfe benötigen. Das passiert auch Tieren. Um bestmöglich auf einen tierischen Rettungseinsatz vorbereitet zu sein, findet für die Einsatzkräfte der Feuerwehr Ötisheim am 21.10.eine Schulung zum Thema „technische Großtierrettung“ statt.
„Mein Pferd ist in einen Graben gerutscht und kommt nicht mehr raus. Es hat einen Verkehrsunfall mit einem PKW mit Pferdeanhänger gegeben, ein Rind ist in die Güllegrube gefallen.“ Jeden Tag gehen solche oder ähnliche Anrufe bei den Leitstellen der Feuerwehren in Deutschland ein. Die Zahl der Rettungseinsätze für große Tiere, die in eine Notlage geraten sind, nimmt kontinuierlich zu. Tierbesitzer – ob Landwirt oder Freizeitreiter – vertrauen in solchen Situationen auf die Feuerwehr. Die große Mehrheit der Einsatzkräfte ist jedoch nach wie vor nicht auf die speziellen Anforderungen und Risiken von Großtierrettungseinsätzen vorbereitet, denn anders als beispielsweise in England steht die technische Großtierrettung nicht auf dem Standardausbildungsplan für Rettungskräfte. Noch nicht, muss man sagen, denn das ändert sich gerade. Immer mehr Feuerwehren entwickeln ein Bewusstsein für die speziellen Gefahren und Herausforderungen von Großtierrettungseinsätzen und entscheiden sich, ihre Einsatzkräfte schulen zu lassen.
So auch in Ötisheim. 20 Rettungskräfte treffen auf Lutz Hauch und seinen professionellen Rettungsdummy Sam. Lutz Hauch ist der einzige ARA-autorisierte und nach Din ISO 9001 zertifizierte Großtierrettungstrainer in Deutschland. Bei ihm lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie man bei einem Großtierrettungseinsatz vorgeht.

Großtierrettungseinsätze werden praktisch geübt
Einen ganzen Tag nehmen sich die Ehrenamtler der Feuerwehr Ötisheim für das Training. Die Sicherheit der Einsatzkräfte und eine möglichst schonende Rettung des in Not geratenen Tieres stehen bei dem Training der technischen Großtierrettung im Vordergrund.
Der Trainingstag startet mit einem Theorieteil, bei dem die angehenden Großtierretter wichtige Hintergrundinformationen in kompakter Form erhalten. Neben der ganzheitlichen Wahrnehmung der Einsatzsituation geht es um die richtige Einschätzung des Verhaltens von Menschen und Tieren unter Stress. Das Tier ist ein Lebewesen, das anders wahrnimmt als wir Menschen, dass sich bewegt und besonders unter Stress unvorhersehbar reagieren kann. Hier muss man gewappnet sein, sich als Retter wirkungsvoll schützen und im Team richtig vorgehen.
Ein wichtiges Thema der Schulung ist ein konsequent auf Sicherheit setzendes Personenmanagement. Das bezieht sich nicht nur auf die Einsatzkräfte, sondern auch auf andere am Einsatzort anwesende Personen. Nicht wenige Menschen setzen bei dem Versuch einem in Not geratenen Tier zu helfen ihre eigene Gesundheit und Sicherheit aufs Spiel. Dieser Aspekt ist bei jedem Großtierrettungseinsatz zu beachten. Außerdem geht es um die Entwicklung passender Einsatzstrategien sowie sichere und tierschonende Vorgehensweisen. Der Bezug zur Praxis wird anschaulich anhand mehrerer, teils haarsträubender Einsatzvideos hergestellt. Das alles in kompakten zwei Stunden bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Trainings rausgehen ins benachbarte Gelände, um das erlernte Wissen am Beispiel verschiedener Einsatzszenarien zu üben.

Einsatzübungen mit lebensgroßem Rettungsdummy „Sam“
Für den Praxisteil des Trainings der technischen Großtierrettung hat der Trainer um ein Gelände gebeten, das für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer echte Herausforderungen bereithält. „Ideal sind Hänge und Gräben, Wasserläufe, Morast, Unterholz oder auch dichter Baumbestand“, weiß Großtierrettungstrainer Hauch aus Erfahrung. „Man muss bei echten Einsätzen auch mit schwierigen Bedingungen zurechtkommen. Wir versuchen die Übungen daher so authentisch wie möglich durchzuführen und beziehen auch Faktoren wie hysterische Tierhalter und die Unruhe des Tiers selbst mit ein. Man kann die Stellung des Tieres und den Ort, wo es liegt, nicht beeinflussen. Mit vielseitigen Übungen sind die Einsatzkräfte auf alles vorbereitet.“
Bevor es zur ersten Übung geht, legen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre PSA, die persönliche Schutzausrüstung an, die auch im Einsatz unbedingte Pflicht ist. Dann wird der lebensgroße Rettungsdummy des Trainers entladen. Der Hengst „Sam“ ist ein professioneller Pferdedummy, wiegt circa 200 kg und hat bewegliche Gelenke wie das lebendige Vorbild. Sein großer Vorteil: Er lässt alle Übungen und auch Fehler, die beim Training natürlich gemacht werden dürfen, geduldig über sich ergehen. Die Teilnehmer lernen an und mit Sam, wie eine Großtierrettung ablaufen sollte. Dabei kommen auch die Spezialwerkzeuge zum Einsatz, die der Trainer mitbringt. Die Werkzeuge wurden für die technische Großtierrettung entwickelt und sind geeignet, Tiere schonend und schmerzfrei zu befreien, ohne dass die Rettungskräfte dem Tier zu nahe kommen müssen. Geübt werden verschiedene praxisnahe Situationen wie die Rettung aus einem Graben, die Rettung aus einem verunfallten Transporter und auch eine Rettung mittels Hebegeschirr unter Einsatz eines Krans. Der kann übrigens in den allermeisten Einsatzfällen in der Fahrzeughalle bleiben. „90 Prozent aller Rettungen lassen sich mit reiner Muskelkraft bewältigen“, bestätigt Lutz Hauch. Alle Einsatzszenarien werden so realistisch wie möglich nachgestellt, um die Teilnehmer auf den Ernstfall vorzubereiten: Damit sich Retter nicht in Gefahr bringen und Tierbesitzer auf professionelle Hilfe setzen können.

Hintergründe
Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschland keine qualifizierte Ausbildung zur Vorbereitung auf Großtierrettungseinsätze. 2016 lernte Lutz Hauch das in England entwickelte Konzept der technischen Großtierrettung kennen und begann, es in Deutschland bekannt zu machen. Heute gehört das Konzept in vielen Ländern weltweit zur Standardausbildung für Rettungskräfte. Das 2021 erschienene Fachbuch von Lutz Hauch ist das einzige deutschsprachige Standardwerk zur technischen Großtierrettung.
In Deutschland verfügen bis heute 457 Rettungsorganisationen über in der technischen Großtierrettung ausgebildete Einsatzkräfte. Legt man die vom Deutschen Feuerwehrverband auf ihrer Internetseite genannte Zahl von insgesamt rund 22.300 Feuerwehren – freiwillige und Berufsfeuerwehren – zugrunde, gibt es noch viel Aufklärungs- und Trainingsarbeit zu leisten, aber der Anfang ist gemacht.

In Ötisheim befindet sich ein spezielles Fahrzeug des Enzkreises, der Gerätewagen Logistik Katastrophenschutz (GW-L KatS). Dieses Fahrzeug ist für den Einsatz bei Waldbränden und anderen Notfällen, wie beispielsweise Unwettern, vorgesehen und verfügt über einen Kran. Es kann auch zur Rettung von Großtieren eingesetzt werden. Aufgrund dieser Fähigkeit werden die Rettungskräfte aus Ötisheim zukünftig zu Einsätzen im gesamten Enzkreis gerufen. Bisher hat jede Feuerwehr mit ihrer eigenen Ausrüstung versucht, große Tiere aus Notlagen zu befreien. Dies soll sich nun ändern.

Text: comcavalo, Feuerwehr Ötisheim